Arbeitswelten 2010

Was du im Anderen anzünden willst

(Dominik Kamalzadeh, Kurator)

Die Verzeichnung zeitgenössischer Arbeitswelten gehorcht ein wenig Zenos Paradoxon: Immer wenn man meint, einer bestimmten Erscheinungsform von Arbeit näher gekommen zu sein, stellt sich am Ende heraus, dass die Entwicklung schon wieder in eine andere Richtung weiter verlief. Sogar in der Wirtschaftskrise, auf die rasch zu reagieren das Kino zu behäbig scheint, trifft das noch zu: Während man andernorts bereits an neuen Lösungen arbeitet und beunruhigende Entwicklungen erkennen kann – als hätte man aus dem ganzen Schlamassel nichts gelernt –, verlagert sich der Fokus der Filme auf diejenigen, die von den Folgen des Tiefs am schwersten getroffen sind: auf Menschen – oder um es in der Fachsprache zu formulieren: auf human resources, Humankapital.

Das diesjährige Arbeitswelten-Spezial trägt dieser Entwicklung Rechnung und präsentiert unter anderem zwei Filme, die sich auf die Ränder der Kampfzone konzentrieren. Virtuelle Übungsräume für den Arbeitsalltag erlauben durch ihr Spiegelungsverhältnis Aufschlüsse über die Realität. Orte, wo Notwendigkeiten spielerisch erprobt werden: Ein Jobcenter – so auch der Titel von Angelika Summereders Film – und Seminare und Coachings, in denen vom Arbeitsleben verunsicherte Menschen für den Wiedereintritt trainiert werden; letztere sind Gegenstand von Katharina Pethkes Film In dir muss brennen, der nach dem ersten Teil eines Augustinus-Zitat betitelt ist: „was du im anderen anzünden willst“, lautet es weiter. 

Anzünden, überzeugen, souverän auftreten: Die rhetorischen Messlatten der Trainer sind in beiden Filmen hoch. In Jobcente r treffen erfahrene Menschen, die aus dem Arbeitsalltag gerissen wurden, auf solche, die erst ganz am Anfang stehen. Nun geht es darum, die eigenen Wunschvorstellungen zu konkretisieren und das dazu gehörige Auftreten zu optimieren. Summereder entscheidet sich für eine dokumentarische Herangehensweise, welche die Angebote des Ortes (Gruppengespräche, Bewerbungsgesprächsimulation etc.) dazu nutzt, einzelnen Protagonisten näher zu kommen; die Kluft zwischen normierten Prozessen und menschlichen Singularitäten scheint darüber besonders deutlich auf. Katharina Pethke betreibt die Auflösung individueller Besonderheiten, um ein allgemeines Bild zu erfassen: Mit einer höher frequentierten Montage löst sie die Rhetorik von Seminaren in kleinere semantische Einheiten auf. Statt einer durchgehenden zeitlichen Erfahrung stehen so kommunikative Miniaturen im Zentrum, die von den Coachings als das geeignete Waffenset inszeniert werden, um im Arbeitsalltag bestehen zu können. Immer ist es der Kursteilnehmer selbst, der an sich arbeiten muss – die Unsicherheiten, Ängste und Depressionen sind Effekte einer Überforderung, die therapiert werden muss, mit dem Ziel, die Effizienz zu erhöhen.

So subtil die Anforderungen für den Arbeitsmarkt in westlichen Ländern geworden sind, so grundsätzlich werden sie in Želimir Žilniks Old School of Capit alism ausgetragen. Der serbische Regisseur hat eine erfrischend anarchische Mischform gefunden, um von der ersten massiven Arbeiterprotestbewegung seines Landes nach dem Ende des Sozialismus zu erzählen. Dokumentarische Aufnahmen, welche die Empörung auf den Straßen vermitteln, verbindet er mit einer Art Doku-Soap über eine Gruppe von Fabrikarbeitern, die gegen ihre Nulllohnrunden etwas zu unternehmen beschließt. Was als Rückholaktion von Ziegelsteinen und Werkzeug beginnt, steigert sich schließlich bis zum Kidnapping: Geschichte erscheint hier als Kreislauf, aus dem immer die Falschen als Gewinner aussteigen.

An eine bei den Arbeitswelten bisher fehlende Front führen die letzten beiden Filme des Programms: In Peter Mettlers Pet ropolis und Rainer Komers’ Milltown, Montana geht es weniger um Menschen als um deren Wirken – um die ökologischen Folgen von Industriestandorten auf eine Landschaft, auf eine Kultur. Mettlers Film, eine Greenpeace-Auftragsarbeit, beeindruckt durch seine visuelle Wucht, die wiederum einem Anschauungsgebot unterworfen ist. Um die Ausmaße der Umgestaltung der kanadischen Alberta Tar Sands, einer riesigen Ölsandgewinnungsstätte, anschaulich zu machen, wurde der Film zur Gänze vom Helikopter aus gedreht: Bilder einer Zerstörung, die jenseits der Vorstellungskraft liegt. Wichtig ist die Grenze zum intakten Wald, der an die lehmfarbenen Wunden der Landschaft anschließt und damit erst das Ausmaß dieses Eingriffs verdeutlicht. Der Reiz von Pet ropolis liegt in seinem Vertrauen auf Bilder, die zwischen Abstraktion und Evidenz changieren; bis auf einen kurzen Schlusskommentar kommt er ohne Worte aus. Auch Milltown, Montana ist ein Film ohne (viele) Worte, über eine Region, aus der die Industrie längst ausgezogen ist – einst ein wichtiger Bergbauort, liegen die Minen nunmehr still. Geblieben sind jedoch geisterhafte Spuren – und Giftschlamm, der im Zuge eines Renaturisierungsprojekts aus den Seen gepumpt werden muss. Komers’ Kamera durchmisst in ruhigen Bildern eine Landschaft und ihre Menschen, in der Traditionen weiter bestehen, während die Herausforderungen des Neuen erst in Ansätzen vorhanden sind.

Filme der Sektion: