Tribute 2024: Aliona van der Horst (NL)

Aliona van der Horst ist eine Meisterin der Bildsprache. Wie keine andere kann sie eine Geschichte erzählen, in der sich Bild, Ton, Musik und – oft spärliche – Unterhaltungen ergänzen und gegenseitig verstärken. Sie entdeckt Schönheit an Orten, an denen man sie nicht vermuten würde. (Nicole Santé, businessdoceurope.com)


 

Crossing Europe widmet die Tribute-Programmsektion 2024 der niederländischen Filmemacherin Aliona van der Horst, einer der eindrücklichsten Vertreter*innen des europäischen Dokumentarfilms.

Van der Horst wurde 1970 als Kind einer russischen Mutter geboren und wuchs in der Heimat ihres niederländischen Vaters auf. Die politisch verursachten Wunden innerhalb der russischen Gesellschaft aber auch die eigenen Wurzeln sind wiederkehrende Themen ihrer persönlichen, essayistischen Arbeiten. So begibt sie sich in LIEFDE IS AARDAPPELEN / LOVE IS POTATOES (NL 2017; CE 2018) auf eine ergreifende Reise in die Kindheit ihrer Mutter im vom stalinistischen Terror geprägten Russland. TURN YOUR BODY TO THE SUN (NL 2021) zeichnet die aufrüttelnde Lebensgeschichte eines tatarischen Soldaten und Kriegsgefangenen der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Van der Horst begleitet dessen Tochter Sana beim Versuch, die Vergangenheit und damit die Schweigsamkeit des Vaters zu verstehen. Beim Graben in Filmarchiven bringt sie Spuren Millionen sowjetischer Soldaten ans Licht, die mit Hitler und Stalin gleich zwei Diktatoren zum Opfer fielen. In BORIS RYZHY (NL 2008; CE10) macht sie sich auf die Suche nach Antworten zum Selbstmord des titelgebenden jungen Dichters und erzählt dabei eine Geschichte über Poesie, die russische Mafia, Liebe und die Tragik der Perestroika.

Doch van der Horsts Schaffen reicht über geografische und biografische Grenzen hinaus. WATER CHILDREN (NL 2011) führt sie nach Japan und ist gleichsam Porträt der gefeierten Pianistin und visuellen Künstlerin Tomoko Mukayama sowie eine komplexe Meditation über Fruchtbarkeit, Geburt und Menstruation. VOICES OF BAM (NL 2006) dokumentiert auf behutsame Weise die Auswirkungen eines Erdbebens 2003, bei dem die iranische Stadt Bam zu einem Großteil zerstört wurde und über 43.0oo Menschen ihr Leben verloren. Der Film lässt die Überlebenden beim von Trauer, Schuldgefühlen aber auch unbezwingbarer Lebenskraft geprägten Versuch zu Wort kommen, ihr Leben weiterzuführen. Co-Regie führt hier Maasja Ooms, die als Kamerafrau und Editorin auch bei vielen weiteren Arbeiten eng mit Aliona van der Horst zusammenarbeitet und mit zwei eigenen Regiearbeiten bei Crossing Europe vertreten war (CE22: JASON; CE20: ROTJOCHIES).

In van der Horsts neuester Arbeit GERLACH (NL 2023, Co-Regie: Luuk Bouwman), die auch in der Programmschiene Architektur & Gesellschaft bei Crossing Europe zu sehen sein wird, begleitet die Filmemacherin einen der letzten traditionellen Ackerbauern in den Niederlanden, der sich unbeirrbar und mit unerschütterlicher Hingabe für seine Arbeit gegen die umliegende und ihn immer mehr bedrängende Industrie stemmt. Der Film wurde 2023 beim International Documentary Film Festival Amsterdam mit dem IDFA Award für den besten niederländischen Film ausgezeichnet.

Durch ihren poetischen Zugang zu Narrativ und Bildkomposition hat Aliona van der Horst in über 25 Jahren des filmischen Schaffens eine ebenso eigenständige wie klare Filmsprache kreiert, die nach einem Erleben auf der großen Leinwand verlangt. Es gelingt ihr, Momente großer Intimität einzufangen und dabei gleichzeitig Geschichten zu erzählen, die berührend und zugleich allgemeingültig sind. Seit Beginn ihrer filmischen Laufbahn 1997, wurden ihre Filme vielfach international ausgezeichnet, darunter etwa mit dem Spezialpreis der Jury beim Tribeca Film Festival in New York oder dem Preis für den besten Dokumentarfilm beim Internationalen Filmfestival Edinburgh. Neben ihrer Arbeit als Filmemacherin ist sie häufig als Dozentin bei Filmhochschulen und Festivals zu Gast.
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© Masha Osipova


Die Filme von Aliona van der Horst im Festivalprogramm 2024:

  • GERLACH (NL 2023), 76 min, Co-Regie: Luuk Bouwman
    Österreichpremiere; auch Teil der Programmsektion Architektur & Gesellschaft
  • TURN YOUR BODY TO THE SUN (NL 2021), 93 min – Österreichpremiere
  • LIEFDE IS AARDAPPELEN / LOVE IS POTATOES (NL 2017; CE18), 90 min
  • WATER CHILDREN (NL 2011), 75 min – Österreichpremiere
  • BORIS RYZHY (NL 2008; CE10), 60 min
  • VOICES OF BAM (NL 2006), 90 min; Co-Regie: Maasja Ooms – Österreichpremiere

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GERLACH (NL 2023) / © Syndicado